Gemeinschaft und Individualität

Mittendrin, aber nicht dabei!

Laut Gerald Hüther (Hirnforscher) hat jeder Mensch auf der Welt zwei menschliche Grundbedürfnisse: Das Bedürfnis nach Verbundenheit und das Bedürfnis nach Autonomie (Link FAZ).

Zugehörigkeit als Grundbedürfnis

Zugehörigkeit ist eines der wichtigsten Grundbedürfnisse eines Menschen. Fühlt sich jemand nicht zugehörig dann vereinsamt die Person. Gerade der Wunsch irgendwo dazuzugehören treibt uns an.

Egal ob in der Familie, im Freundeskreis, Beruf oder Freizeit. Gemeinsamkeiten verbinden auf vielfältigste Weise. Und doch fällt es den Menschen gerade heutzutage immer schwerer, sich nicht einsam und ausgegrenzt zu fühlen.

Warum ist das so? Es gibt doch so viele Möglichkeiten. Sind es die Medien? Die Sozialen Netzwerke? Die Kommunikation  oder besser gesagt die fehlende, persönliche Kommunikation?

Zugehörigkeit! Sie steigert das Selbstwertgefühl und gibt uns Menschen, die Gewissheit, wertvoll zu sein.

Es geht bei der Zugehörigkeit darum, beachtet und bemerkt zu werden!  Sie steigert das Selbstwertgefühl und gibt uns Menschen, die Gewissheit, wertvoll zu sein.  Wir Menschen investieren viel, um uns zugehörig zu fühlen. Immer wieder werden neue soziale Bindungen eingegangen.  Zeit wird  investiert, um diese Bindungen zu erhalten. Dafür sind wir aber auch bereit, unser Verhalten den Gepflogenheiten anderer anzupassen.

Um in einer Gruppe aufgenommen zu werden, muss man verstehen, wie die Gemeinschaft funktioniert. Anpassung ist unumgänglich. Fühlen wir uns zugehörig, dann glauben wir an uns und unsere Möglichkeiten.

Das Gefühl der Zugehörigkeit beeinflusst alles. Motivation, Leistung, Erfolg, Stärke.

Meine True Story! Gemeinschaft und Individualität.

Ich bin seit fast 6 Monaten in Dubai und arbeite als Managerin der Personalabteilung. Beim Management Teammeeting erkundigt sich mein Chef, wie es mir so gehe und ob ich gut integriert sei. Ich antworte, dass ich viel Arbeit und einen hohen Stresslevel habe.

Mein Chef fragt: "Hoher Stresslevel! Warum?" Vor dem anwesenden Management Team erwidere ich: "Ich arbeite  jetzt seit 6 Monaten mit Euch.  Im Team. Noch nie ist jemand von Euch mit mir gemeinsam Kaffeetrinken oder Mittagessen gewesen!"

PAUSE – Bestürzung und teilweise beschämtes Wegsehen. Dann kommen die Beteuerungen, dass es nichts mit mir zu tun habe. Es wäre keine Absicht. Ihnen sei es einfach nicht aufgefallen. 

Anmerkung: Das Management Team setzte sich aus  Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen. Inder, Araber, Südafrikaner, US-Amerikaner und Engländer. Alle waren Männer. Ich war die einzige Frau.

Mittendrin, aber nicht dabei!

Wie in meiner True Story - Gemeinschaft und Individualität beschrieben, war ich zwar mittendrin, aber ich gehörte nicht dazu.

Selbstzweifel kamen auf. Was machte ich falsch? Unternahm ich zuwenig, um dabei zu sein?

Zufällig landete dann ein Artikel zur Thematik "Community" auf meinem Schreibtisch. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich erkannte die Wahrheit.

Wer ist verantwortlich für Zugehörigkeit? Sie? Ich? Die Gruppe? Alle zusammen?

Menschen sind soziale Wesen, Menschen wollen dazugehören. Menschen brauchen Kontakte und soziale Interaktion zum Überleben. Wir wollen dabei sein.

Herkunft & Aufwachsen kann sich niemand aussuchen.

Geburtsort,-land,-kontinent? Land oder Stadt? Hautfarbe? Religion? Reich oder Arm? Demokratie, Monarchie oder Diktatur?

In vieles werden wir hineingeboren. Automatisch gehören wir dazu. Genau diese Herkunft & das Heranwachsen prägen jeden von uns. Sie formen die "eigene" Geschichte. Sie bestimmen die ursprüngliche Zugehörigkeit und beeinflussen jede weitere Zugehörigkeit.

Gemeinschaft und Individualität! Erste bewußte Entscheidungen oder doch nicht?

Schon recht früh kommen eigene bewußte Entscheidungen dazu. Im Kindergarten, in der Grundschule wählt/sucht man sich seine ersten Freunde

Ich wollte immer mit einer bestimmten Mitschülerin spielen. In der Schule verstanden wir uns sehr gut. Aber wenn wir uns nach der Schule treffen wollten, durfte ich nicht zu ihr. Auch durfte sie mich nicht besuchen. Warum? Es wurde uns nicht gesagt.

Ein Arbeiterkind und eine Bürgerstochter? Ob das der Grund war?

Beeinflussen/Beeinflussten Sie die Entscheidungen Eurer Kinder? Dürfen/Durften sie spielen, mit wem sie wollten oder nicht? War/Ist das richtig? Welche Ziele/Gründe gibt/gab es, diese Entscheidungen zu treffen?

Gemeinschaft und Individualität! Pubertät und später! Ich entscheide selbst, was ich tun will!

Sportclub, Musikverein oder doch etwas ganz anderes? Hard Rock oder Schlager? Markenauto oder keines? Vegetarier oder nicht? iOS oder Android? Social Media Platform? Tracht, Uniform oder Jeans? Dialekt oder Hochdeutsch?

Spätestens in der Pubertät entscheidet man selbst, zu welcher Gruppe man gehören will. Oder zumindest glauben wir das.

Oft ist es ein Freund, der uns überredet, einer bestimmten Gruppe beizutreten. Oder ein Mädchen, das einer coolen Gemeinschaft angehört. 

Nicht bewusst, eher unbewusst. Es ist es immer auch die Entscheidung: Wenn ich hier dazugehöre, dann gehöre ich woanders nicht dazu! Oder dann kann ich woanders nicht dazugehören!

Welches "Wir" meinen wir eigentlich, wenn wir "Wir" sagen?

Wenn vom "Wir" die Rede ist, geht es oft um Gleichheit.

Die Gleichheit hat nichts mit jener Gerechtigkeit zu tun, bei der es um die Gleichbehandlung aller Menschen vor dem Gesetz geht. Sie ist eher Gleichförmigkeit. Diesen Zustand nannten die alten Griechen "Monotonie".

Eine Gleichheit die alle Unterschiede verwischt. Das gilt für Mensch und Meinungen. Geschlossene Gruppen kommunizieren intern. Sie bestärken sich gegenseitig in ihren Standpunkten und Meinungen. Innerhalb einer Gruppe gibt es oftmals keine abweichende Meinungen und keine Vielfalt mehr. Weitere Aspekte werden nicht mehr aufgenommen. Irgendwann werden diese Meinungen und Standpunkte zur "falschen" Wahrheit. D.h. Etwas wird real, das nicht real ist. 

Beim Integrieren kennt das "Wir"kein Pardon.

Wer nicht wie "Wir" ist, wer nicht wie "Wir" denkt, läuft Gefahr ausgeschlossen zu werden.

Hiermit möchte ich auf die Gefahr von zu starker Zugehörigkeit, von einem zu starkem "Wir" hinweisen.

Statt die Vielfalt, die Differenz, die Unterscheidbarkeit zu fördern, ist Integration – also autoritäres Einordnen – das Gebot der Stunde. Aus Furcht, die Übersicht zu verlieren?

Wo ein starkes "Wir" ist, gibt es auch immer ein "Ihr". Und das sind die Anderen. Entweder "Wir" oder "Ihr". Es scheint, dass die Mitgliedskarte einer Person mehr zählt, als die Person selbst . 

Während ein auf sich selbst gestellter Mensch schnell die Grenzen des Machbaren erkennt, schwindet für den Einzelnen im "Wir" der Begriff des Unmöglichen. Ob im guten oder schlechten Sinne. Die Fähigkeit zum eigenverantwortlichen Handeln geht verloren. Dazu kommt die Überzeugung, selbst für nichts mehr verantwortlich sein zu können und zu müssen.

Und genau deshalb ist die Legende der guten Gemeinschaft unausrottbar. Es geht um die unangenehme Wahrheit  und um die persönliche Verantwortung. Das ist der Job des "Ich" in der Gemeinschaft, und das ist die Grundlage von allem "Wir".

Das "Ich" kann Widerspruch und Auseinandersetzung anerkennen. Das "Wir" duldet diese niemals. 

Anders sein, ist anstrengend. Gemütlicher ist es in der wohligen Anonymität der Masse und Gemeinschaft.

Gemeinschaft und Individualität! Machbar? Ja, aber...

Gemeinschaft und deren Grundregeln sind wichtig.

Aber sie müssen immer wieder hinterfragt werden. Sind sie veraltet? Macht es Sinn diese zu ändern und weiter zu entwickeln? 

Für eine Weiterentwicklung braucht es, „Abweichler, Außenseiter, Anders Denkende“ in der Gesellschaft. 

Allerdings tun sich viele Menschen mit dem Akzeptieren von Differenz & Individualität sehr schwer. Der Mensch vertraut den Klischees eher, als seinen Erfahrungen. Im privaten wie beruflichen Leben gilt, dass meistens nicht betrogen wird. Natürlich gibt es Verrat, Untreue, Betrug, aber das ist nicht die Norm. Auf die meisten Leute ist Verlass.

Eine ideale, offene Gesellschaft (Gemeinschaft und Individualität) sind ein Verbund aus freien Menschen, die wissen, dass es gut wird, wenn sie gut sind. Sie übernehmen die volle Verantwortung für ihr Handeln, und verstecken sich nicht hinterm "Wir". Nur dort wo jeder sein Bestes geben kann, kommt am Ende für alle etwas Gutes heraus.

Mit Menschen, die einen großen Vogel haben, kann man an ungewöhnliche Orte fliegen. (Sprichwort)

Ab hier sind "Wir" gemeinsam wirklich stärker.

Die Neuen Regeln müssen eine Art Basis sein, ein Minimum, das Übersicht schafft. Den Rest sollte man mit Vertrauen & Zutrauen in seine Mitmenschen füllen. 

Freiheit bedeutet, dass man nicht unbedingt alles so machen muss wie andere Menschen. (Astrid Lindgren)

Gemeinschaft und Individualität. Mittendrin, aber nicht dabei! 


Gemeinschaft und Individualität! Ein paar Worte zum Schluss!

Ich habe diesen Impulsvortrag schon mehrmals vor unterschiedlichem Publikum gehalten. Viele haben mich aufgefordert, einen Artikel zum Thema "Gemeinschaft und Individualität" zu schreiben. Das ist er! 

Traut Euch anders zu sein, traut euch Individualisten mit Ecken und Kanten zu sein. Eckt an. Seid wild, tanzt auch mal alleine, einfach so. 

Die Welt da draußen ist im großen und ganzen gut zu Euch.

Andrea Maurer (Mai 2020)


Meinungen

Martin Krusche

Autor & Künstler

...Einen der fundamentalen Angelpunkte in diesen Verhältnissen brachte Vortragende Andrea Maurer zur Sprache, nämlich die zwei gewichtigen Grundbedürfnisse aller Menschen: Zugehörigkeit und Autonomie.

Das scheinbar Widersprüchliche ist höchst komplementär. Sich in Gemeinschaft aufgehoben fühlen und dabei selbstbestimmt zu leben verlangt eine Art von Fließgleichgewicht im Leben und gelingende Verständigung mit sich wie mit anderen, während es in starren Anordnungen erstickt... (Austria Forum Link)

Gemeinschaft und Individualität

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